… und vertraue niemals darauf, was Du glaubst zu wissen.

Erkenntnisse aus dem Konstruktivismus, z. B. von Heinz von Förster, verstören mich immer wieder aufs Neue. Heute bin ich mutig und wage mich an eine Interpretation folgender Aussage:

„Jede Erinnerung ist im doppelten Sinne konstruiert.“

Wir fangen am besten ganz von vorne an. Über unendlich viele Nervenbahnen nehmen wir die uns umgebende Welt wahr: Das Auge sieht, das Ohr hört, die Zunge schmeckt. Daraufhin filtert das Gehirn zunächst eingehende Signale und baut aus dem Rest eine innere Abbildung dessen, was (vermeintlich) im Außen passiert. Wir nennen das eine Konstruktion.

Nervenimpulse – Filter + bereits Bekanntes = Wahrnehmung

Wir konstruieren mittels unseres Gehirns ein Abbild der uns umgebenden Realität. Das ist die erste Konstruktion.

Nach einer gewissen Zeit erinnern wir uns an eine vergangene Situation, einen Gedanken, ein Erlebnis und es passiert etwas Magisches. Das, was tatsächlich passiert ist, liegt ohnehin schon als eine von uns eingefärbte Version irgendwo im Gedächtnis. Diese eigene Version der Realität wird nun erneut betrachtet und mit den in der Zwischenzeit erlebten Erfahrungen erneut gefiltert und interpretiert. Das, woran wir uns zu erinnern glauben, wird eingefärbt durch weitere Erlebnisse und letztlich unter dem Einfluss der aktuellen Situation wieder neu konstruiert.

Wir vemengen also:

  • was war, d.h. unsere erste Konstruktion
  • was damals tatsächlich war
  • was in Zwischenzeit passiert ist: Hierunter fallen alle Erlebnisse, die uns widerfahren sind und unser Denken und Handeln beeinflussen.

Ein Beispiel:

Beim Bäcker drängelt sich jemand vor. Ob er drängelt oder uns einfach übersehen hat, erkennen wir nicht. Wir filtern, interpretieren, bewerten und kommen damit zu der Konstruktion: Er (oder sie) drängelt sich unverschämt vor. Wir ergreifen nun das Wort und weisen in mehr oder weniger freundlichem Ton auf die Schlange vor der Kasse hin.

Einige Zeit später: Wir stehen in geselliger Runde zusammen und mokieren uns gemeinsam über die Unfreundlichkeit der anderen Gesellschaftsmitglieder. Da haben wir doch glatt eine kleine Anekdote beizutragen. Wir erzählen prompt vom unverschämten Bäckerei-Drängler und unserem heldenhaften Einsatz zur Rettung unserer gesellschaftlich gemeingültigen Warteschlangen-Moral. Je nachdem in welchem Licht wir uns selbst sehen wollen, folgen fantastische Neuinterpretationen und Ausschmückungen unseres couragierten Eingreifens.

Dieses Verhalten hat wiederum Einfluss darauf, wie wir uns selbst sehen. Und das wirkt auf unsere Konstruktionen ersten Grades ebenso wie auf die zweiten Grades.

Ich lade Dich an dieser Stelle ein, Dir selbst Gedanken darüber zu machen und zu erkunden, wie sich Situationen in Deinem Arbeitsleben, in Deiner Beziehung oder in geselliger Runde mit Freunden abgespielt haben und was Du hier über Dich lernen kannst.

  • Hat der Kollege XY tatsächlich das gesagt, was ich verstanden habe?
  • Habe ich mich in der letzten Situation gegenüber meinem Chef / Mitarbeiter tatsächlich so verhalten?
  • Ist das, was mich an meinem Partner / meiner Partnerin nervt, tatsächlich das, was ich erlebt habe? Oder bin ich selbst Drehbuchautor meines eigenen Scheidungsdramas?

Übernimm keines meiner Worte und alles, was Du willst.

Gerald